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Im Gespräch mit Silke Helfrich

Commoning: Fair, frei, lebendig

Silke Helfrich im Gespräch mit Viktoria Schwab

VIKTORIA SCHWAB Ich möchte gerne mit dir über dein Buch Frei, fair und lebendig – Die Macht der Commons und über Commoning im Allgemeinen sprechen. Was bedeutet Commoning?

SILKE HELFRICH Darüber denke ich seit etwa 15 Jahren nach. Damals habe ich in Mittelamerika gearbeitet. Ich hatte oft den Eindruck, dass wir eigentlich genau wissen, was falsch läuft, aber nicht so richtig wissen, wie wir dies verändern sollen. Unsere Probleme sind sehr komplex, viele Aktive werden zu Spezialist*innen für einzelne Sachverhalte, aber der Blick für das Grosse und Ganze geht verloren. Das zeigte sich auch in den Bewegungen und Organisationen, mit denen wir gearbeitet haben. Bewegungen, die zu Themen wie Ernährungssouveränität, zur Verfügbarkeit von Trinkwasser und zu Genderfragen gearbeitet haben oder die Genmanipulation thematisierten, sei es nun in der Landwirtschaft oder im menschlichen Körper, waren als Einzelbewegungen exzellent organisiert. Aber sie waren nicht wirklich untereinander verbunden. Dies lag auch daran, dass es keine grosse Erzählung gab, kein gemeinsames Narrativ. Die Frage nach Gemeingütern, auch Commons genannt, kann hier Verbindung stiften, denn hier werden wichtige und richtige Fragen aufgeworfen: Wie verhält es sich mit dem Eigentum? Was sollte nicht privataneignungsfähig sein, weil es eigentlich ‚unser‘ ist? Wie schlägt die Eigentumsfrage Pflöcke ein, die dann unumgehbar sind? Was sollte dem Staat gehören? Was sollte sich in Privateigentum befinden? Und was in gemeinschaftlicher Hand? Aber auch diese Fragen sind noch zu kurz gegriffen, denn sobald wir an diesem Punkt angelangt sind, konzentriert sich der Streit auf konkrete Eigentumsformen – freilich nur solche, die wir heute zu denken im Stande sind. Diese Diskussionen geschehen dann oft im Entweder-Oder-Modus. Die einen wollen mehr öffentliches (staatliches) Eigentum, die anderen mehr Privateigentum und wieder andere mehr Gemeinschaftseigentum. Dabei werden grundsätzliche Fragen übersehen. Hier setzt das Commoning an: Wie verhalten wir uns eigentlich zueinander? Zu dem jeweils anderen, aber auch zu uns selbst und zu den Dingen, die wir zum Leben brauchen – ganz gleich ob das Wälder, Wasser oder Dinge sind, die wir selber herstellen. Dieses Verhalten, das Commoning (im Deutschen manchmal als Gemeinschaffen bezeichnet), sagt viel über uns selbst aus! Es geht also bei Commons nicht um die Dinge, sondern um uns. Ein Satz, der dem Historiker Peter Linebaugh zugeschrieben wird, beschreibt es so: »Es gibt kein Commons ohne Commoning«. Commons sind damit etwas, das wir miteinander herstellen müssen, das wir erkämpfen, erstreiten und gestalten müssen. Das uns Gemeinsame oder das, was wir als solches reklamieren, fällt schliesslich nicht vom Himmel! Es wird uns weder vom lieben Gott noch von Vater Staat noch von irgend einer anderen Autorität geschenkt. Kurz: Commons entstehen im Kern aus einem sozialen Prozess: Commoning.

V S Commoning meint also das soziale Miteinander? Unseren Umgang miteinander, der sich ändert, wenn durch andere Eigentumsformen auch die Fragen nach Macht und Verantwortung neu gefasst werden?

S H Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Eine Grundidee des Commoning ist, dass diejenigen, die von Entscheidungen betroffen sind, diese Entscheidungen auch fällen sollen. Wer abhängig ist vom Zugriff auf das, was zum Leben gebraucht wird, soll darüber mitentscheiden können. Da gibt es also sehr viel zu tun. Solche sozialen Prozesse der Mitentscheidung und Mitgestaltung sind Herzstück des Commoning, doch sie sind voraussetzungsvoll. Nochmal anders gesagt: Es geht nicht um Wasser, Wald, Software oder Wohnraum, sondern um die Frage, wie wir mit all diesen Dingen umgehen. Weil dies etwas darüber aussagt, wie wir miteinander leben wollen. Wie wir uns als Gesellschaft verstehen, wie wir uns zum jeweils anderen verhalten, wie wir Grenzen verstehen und ziehen, wofür wir uns verantwortlich fühlen. Kurz: Es geht ums Ganze der Lebensgestaltung.

V S Das lässt mich stark daran denken, wie wir in Beziehung sind. Dein Co-Autor, David Bollier, und du habt das sehr eindrücklich geschildert. Damit ich in Beziehung sein kann, muss ich mir zunächst einmal selbst bewusst werden, wer ich bin und was mich prägt. Das können gesellschaftliche Strukturen wie internalisierte Rassismen sein oder familiäre, biografische Prägungen. Das war für mich in der Auseinandersetzung mit Commoning wichtig. Um diesen sozialen Prozess so gestalten zu können, wie ich es möchte und es zugleich anderen dient, muss ich bei mir selbst anfangen – und das nicht nur in meinem Verhalten, sondern auch in meinen Denkmustern und Vorstellungen: Wie schaue ich auf die Welt? Wie schaue ich auf Beziehungen? Welches Menschen- und Weltbild prägt mich eigentlich?

S H Genau. Wir haben versucht, diese Erkenntnis beim Schreiben ernst zu nehmen. Man kann politisch auf diese Fragen schauen oder ökonomisch. Wenn ökonomisch, dann würden wir fragen: "Wie können wir ein anderes Wirtschaften gestalten?" Die gegenwärtige Ökonomie ist nicht ressourcenschonend, sie kann nicht in dieser Weise weiterlaufen, ohne dass wir uns dadurch die eigenen Lebensgrundlagen entziehen. Wir können aber die Wirtschaft nur umkrempeln, wenn wir auch das Miteinander umkrempeln. Wie gesagt: Wie wir mit Wasser umgehen, hat etwas damit zu tun, wie wir miteinander umgehen. Das heisst auch, dass Commoning nicht nur von mir ausgeht – wie Du das gut beschrieben hast – sondern auch zu mir zurückkommt. Commoning verändert uns selbst. Tatsächlich können wir Commons und Commoning nicht mit dem dominierenden Menschenbild denken. Die ganze Diskussion knüpft daran an, dass wir als Menschen keine isolierten Wesen sind, die getrennt von dem anderen existieren. Wir sind in vielfacher Weise verbunden, nicht nur miteinander, sondern auch mit der Erde, von der wir leben, mit den Welten, die wir uns erdenken, mit vergangenen und künftigen Generationen. Ein "Ich" ist immer ein "Ich in Bezogenheit". Aus den Beziehungen heraus werden wir zum Selbst. Damit meine ich nicht, dass das individuelle Ich sich selbst negiert. Es erkennt lediglich an, dass es die anderen braucht. Sogar dringend: Erst im Reiben am Anderen wird das Ich zum Ich. Wir brauchen also einen Ich-Begriff, der nicht abgetrennt, abgespalten, isoliert oder vereinzelnd denkbar ist. Wir brauchen eine Idee von unserem Selbst, die enthält, dass wir soziale und zudem gesellschaftliche Wesen sind! Die Gesellschaft prägt uns. Ständig. Das Gesellschaftliche geht durch uns hindurch, weshalb auch Selbstreflexionsprozesse, die die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ausblenden, für Commoning so wichtig sind. Wer bin ich? Wie bin ich unter diesen Verhältnissen geworden? Wie stehe ich in diesem Raum? Warum ist das so? Was ist mein Ausgangspunkt, von dem heraus ich mich zum anderen in Beziehung setze? Da ist noch sehr viel zu tun.

V S Kannst Du etwas darüber erzählen, wie Ihr Commoning im Buch beschreibt?

S H Wir haben lange darüber nachgedacht, wie das Knäuel zu entwirren ist. Letztlich haben wir eine Triade aufgemacht. Wir haben also drei grosse Bereiche betrachtet, die natürlich alle ineinander greifen und nicht getrennt voneinander zu denken sind. So als würden wir uns drei unterschiedliche Brillen aufsetzen. Oder durch drei unterschiedliche Filter dasselbe Phänomen betrachten. Die drei Bereiche sind: Institutionen und Organisationsformen, das Wirtschaften und die Gestaltung des sozialen Miteinanders. Im Kapitel 5 schauen wir uns die Institutionen und deren Governance an. Da geht es um Themen wie: Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie werden Konflikte gelöst? Wie werden Regeln durchgesetzt? In diesem Kapitel tragen wir die institutionelle Brille, und durch diese erkennen wir verschiedene Muster gelingenden Commonings. Dabei können wir feststellen, dass gute Lösungen sehr unterschiedlich aussehen. Sie können in ähnlichen Kontexten eine Million unterschiedlicher Formen und Facetten annehmen und dabei immer wiederkehrende Probleme bearbeiten. Gelingende Lösungen haben also so etwas wie einen gemeinsamen Kern. Dieser gemeinsame Kern ist ein Muster.

Triade des Commonig
Grafik: Hartmut Friedrich

Das Gleiche haben wir im Bereich des Wirtschaftens gemacht: Wir haben uns gefragt: Wie wird in Commons produziert? Was brauchen wir überhaupt zum Produzieren: Natürliche Ressourcen, also Wasser, Land, Rohstoffe und alles Mögliche. Aber auch Wissen, Ideen, Design und Code, Energie sowie Arbeitskraft. Und ich brauche einen Zweck. Diese Aspekte sind wir systematisch durchgegangen und haben immer gefragt: Wenn ich nicht in erster Linie Waren, sondern Commons produzieren will, wenn ich auch das Produzieren als Commoning begreife, wie mache ich das dann? Und schliesslich haben wir die Frage der Gestaltung des Miteinanders untersucht und auch dort Muster identifiziert. Es sind also drei Bereiche, deshalb Triade. Aber wir hatten ja bereits diskutiert, dass Commoning auch Selbstgestaltung ist. Die Triade könnte daher um einen vierten Bereich ergänzt werden. Dann wäre zu fragen: Was würde es brauchen, damit ich mich auch individuell gut vorbereitet fühle? Dass ich commons-fähig bin? Diese Fragen sind auch im Buch angelegt, aber nicht systematisch beantwortet.

V S Welche Beispiele gelingenden Commonings gibt es im Buch?

S H Wir beziehen uns auf etwa 70 Projekte und Initiativen. Etwa 15 davon werden mit Blick auf bestimmte Problemlagen genauer vorgestellt: Dabei sagen wir aber nie, dass diese 15 perfekte Commons sind. Vielmehr bieten sie gute Orientierungen für bestimmte Problembereiche – Entscheidungsfindung, Eigentumsrecht oder Konfliktlösung. Wir beschreiben einfach, was diese Projekte ganz besonders gut können, was ihnen besonders gut gelingt, und was zu ihrer Langlebigkeit beiträgt. Ein zentrales Kriterium unserer Auswahl war dabei, dass die genauer beschriebenen Projekte wirklich langlebig und stabil sind, dass sie zum Beispiel mehrere politische Systeme überlebt haben. Wobei manche Eigentumsregelungen 300 Jahre alt sind und andere Prozesse überhaupt erst 15 Jahre alt sein können, weil sie in der digitalen Sphäre auftauchen. Wir vergleichen sie dennoch miteinander. Wir schauen uns dabei den Umgang mit bestimmten Problemen – Eigentumsregelungen, Umgang mit Wissen, Regelüberschreitungen, Abgrenzung vom Markt – genauer an. Und wenn wir ein Muster finden, beschreiben wir es und legen es unseren Leser*innen zur Reflexion der eigenen Praxis ans Herz. Wir sagen damit nicht: "Die machen alles perfekt, das ist das perfekte Commons." Sondern wir sagen: "Hier können wir lernen, wie sich gute Entscheidungsfindung realisieren lässt. Dort wird deutlich, wie wir die Frage des Habens (des Eigentums) anders denken können. Und wieder anderswo gibt es Inspiration zum Umgang mit Konflikten." Beispiele sind Organisationen, die versuchen, Land freizukaufen, das heisst, aus dem Markt zu nehmen. Oder das Mietshäuser-Syndikat, das Projekte in ihrer Selbstorganisation dabei unterstützt, Wohnraum und damit die Verfügung über den Boden dem Markt zu entziehen. Land dem Markt zu entziehen, ist übrigens eine Grundlage dafür, dass ein Wirtschaften und Leben unabhängig von Marktzwängen überhaupt möglich ist.

V S Manchmal habe ich den Eindruck, dass Projekte commons-artig sind, ohne dass sich die Beteiligten dessen bewusst sind. Wo können Menschen anfangen, wenn sie ihr eigenes Projekt auf Commoning untersuchen und reflektieren wollen?

S H Wenn Menschen dieses Buch lesen und dann sagen: "Oh, das machen wir ja ganz ähnlich!
Das hat etwas mit uns zu tun! Das sind ja wir!", wenn sie sich also in dem Buch wiedererkennen, dann ist das das Grösste für mich. Dann haben wir einen guten Job gemacht, denn unsere Erkenntnis kommt aus erprobter Praxis. Es geht hier nicht um irgendwelche theoretischen Diskurse, sondern um die Frage, wie gemeinsames Handeln so gelingt, dass das Leben freier, selbstbestimmter und fairer ist, und dass wir uns selbst darin lebendiger fühlen. Es geht um das menschliche Potenzial, das in uns steckt. Wir brauchen Inspiration, um dieses Potential tatsächlich zu realisieren und zu sagen: Ich will nicht weiter im Hamsterrad laufen. Ich will nicht ständig Marktzwängen oder anderen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten unterworfen sein, sondern das Leben in die eigenen Hände nehmen. Dann ist immer die Frage: "Wie genau gelingt dieses Handeln?"

Wir bieten also ein bisschen Handlungstheorie, aber vor allem ganz viel Handlungsorientierung. Mein Tipp wäre deshalb, die Muster und Beispiele im Buch zu lesen und im Lichte der eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Sie sind Handlungsorientierung, ohne konkrete Handlungsanweisung im Sinne einer konkreten Methode zu sein. Wir sagen nicht: "Mach es so, dann wird alles gut ". So funktioniert das nicht. Aber wir zeigen die kritischen Felder auf, was den Projekten helfen kann. Wir fragen: "Haben wir darauf unser Augenmerk gerichtet? Haben wir dafür geeignete Methoden? Wenn nicht, lasst uns danach suchen". Wenn wir begriffen haben, welche Formen der Beziehungsgestaltung zukunftsfähig sind, dann brauchen wir keinen Fachjargon mehr, in dem von Commons und Commoning die Rede ist. Dann können wir schlicht eine Sprache sprechen, die uns ganz selbstverständlich erscheint, weil sie ohnehin nur das beschreibt, was sich frei, fair und lebendig anfühlt.

Dieses Interview erschien zuerst in unserem Jahresbericht 2019.